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Forschungsprojekte

Aktuelles Forschungsprojekt

Transnationale Entführungen im 19. und 20. Jahrhundert. Praktiken politischer Gewalt in der Moderne (Habilitationsprojekt)

Entführungen und Geiselnahmen scheinen heute allgegenwärtig – in unterschiedlichen politischen Kontexten und in allen Weltregionen folgen sie einem relativ vorhersehbaren Ablauf von Entführung, Lösegeldverhandlung und – im Erfolgsfall – Austausch. Tatsächlich handelt es sich hierbei weder um ein vormodernes Phänomen noch um eine Erscheinung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vielmehr stellen Entführungen eine zentrale politische Gewaltpraktik der Moderne dar, die im 19. und 20. Jahrhundert eng mit Nations- und Staatsbildung, der (De-)Legitimierung von Gewalt und zwischenstaatlichen Beziehungen verknüpft war.

Das Habilitationsprojekt nimmt Entführungen und Geiselnahmen im 19. und 20. Jahrhundert in den Blick, die diplomatische Beziehungen zwischen unterschiedlichen Staaten beeinflussten und/oder darauf abzielten, politische Herrschaft vor Ort durchzusetzen. In Anlehnung an die Gewaltgeschichte und ethnologische Arbeiten zu Wertsetzungsprozessen begreift es Entführungen als gewalthafte performative Akte, die gerade nicht den Abbruch von Beziehungen bedeuteten, sondern auf Austausch angelegt waren und unterschiedliche Akteursgruppen zu Verhandlungen und (begrenzter) Zusammenarbeit verpflichteten. Im Zentrum des Projekts steht die Frage, wie sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur letzten Jahrhundertwende Entführungspraktiken und rechtliche Normen, ein Expertenwissen und Sicherheitskonzepte sowie mediale Darstellungen ausbildeten, die heute im Grunde globale Gültigkeit beanspruchen. Dabei konzentriert sich das Forschungsvorhaben erstens auf politische Umbruchsituationen, in denen moderne Staatlichkeit (noch) nicht deutlich ausgebildet und das staatliche Gewaltmonopol umstritten war wie etwa in kolonialen oder postkolonialen Kontexten. Zweitens rückt es die transnationale Dimension von Entführungen in den Blick: ihre Rolle bei militärischen Landnahmen und in der internationalen Diplomatie sowie im Kontext völkerrechtlicher Normierungen auf der Ebene des Völkerbundes bzw. der Vereinten Nationen.

 

Abgeschlossene Forschungsprojekte

Um die Welt mit den Thaws. Eine Mediengeschichte der New Yorker High Society in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Dissertationsprojekt)

1926 konstatierte der New Yorker Millionär Vincent Astor in einem Zeitungsartikel: „High Society is only a fiction and if there is any social gulf between different groups of Americans, it isn’t to be measured so much by money as by headlines“. Was Astor eigentlich ironisch relativierend meinte, brachte tatsächlich einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationsprozess auf den Punkt. Denn in den Vereinigten Staaten etablierte sich Ende des 19. Jahrhunderts eine neue soziale Formation, die nicht mehr nur auf Vermögen basierte, sondern vor allem auf massenmedialer Sichtbarkeit: die High Society.

Die Dissertation widmet sich der High Society und nimmt den Zusammenhang von gesellschaftlichem und medialem Wandel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA in den Blick. Einen konkreten Zugang zu diesem Thema bietet die Medienbiographie der New Yorker Millionäre Margaret (1902-1985) und Lawrence Thaw (1899-1965). Die Thaws reisten in den 1920er und 1930er Jahren als Mitglieder der High Society durch die USA, Europa, die Karibik, Afrika und Indien. Dabei hielt das Paar seine Erlebnisse in Amateurfilmen und professionellen Travelogues fest. Diese Filme eröffnen eine außergewöhnliche Perspektive auf die hochmobile High Society, auf ihre Vorstellungen von Nation und Ethnie, Klasse, Geschlecht und Körper und nicht zuletzt auf ihre soziale Prägekraft. Mit der medialen Selbstinszenierung und der Kapitalisierung von Sichtbarkeit in der High Society untersucht die Arbeit ein gesellschaftliches wie mediales Phänomen, das wir heute mit dem Internet und Social Media verbinden, dessen Anfänge aber tatsächlich bis zur vorigen Jahrhundertwende zurückreichen. Das Buch (2020 bei Wallstein erschienen) verbindet gesellschafts-, medien- und kulturgeschichtliche Perspektiven und integriert 166 Filmszenen in die Analyse, die über QR-Codes abrufbar sind.

Die Arbeit ist im Rahmen des von der Gerda Henkel Stiftung geförderten und von Margit Szöllösi-Janze und Nicolai Hannig geleiteten Forschungsprojekts „Die Thaws: High Society, Medien und Familie in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ an der LMU München entstanden.