Lisa Stolz
Arbeitstitel der Promotion: Allgemeingut Genie. Wirkung und Wahrnehmung der Physik-Sektion der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina (1945–2008)
Die Dissertation untersucht, ob die Idolatrie wissenschaftlicher Leistungen in der Physik die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit beeinflusst haben könnte. Die zentrale Hypothese lautet, dass die Akkumulation von Kapital in verschiedenen Formen (ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches) innerhalb des wissenschaftlichen Feldes lange Zeit als eine Art Schutzbarriere gegen die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit fungierte. Um dies zu prüfen, konzentriert sich die Studie exemplarisch auf die Physik-Sektion der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, deren Mitgliedschaft nahelegt, dass die Aufnahme Kapital bedingte. Für die Zeit des „Dritten Reiches“ weist die Physik-Sektion der Akademie sowohl die höchste Dichte an Nobelpreisträgern auf und beherbergt doch zugleich Vertreter der antimodernen und antisemitischen „Deutschen Physik“ oder des Uranvereins. Die Untersuchung analysiert, welches Kapital die Zuwahl in die Leopoldina ermöglichte, welche Handlungsmuster der Mitglieder sich während des NS zeigten und wie diese Umstände die Rezeption der Sektionsmitglieder innerhalb der Fachwelt und der breiteren Öffentlichkeit beeinflussten. Die Studie beleuchtet die Erinnerungen an die Sektion bis einschließlich 2008, dem Jahr, in dem die Leopoldina zur Nationalen Akademie der Wissenschaften ernannt wurde. Damit vereint die Dissertation Wissenschafts-, Wissens-, und Mediengeschichte und bietet eine neue Perspektive auf das Narrativ einer „unpolitischen Physik“ nach 1945.