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Nachlass Dr. med. Alfred Haehner, Leibarzt Wilhelm II.

Wenige Personen der deutschen Geschichte sind so umstritten wie der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II., der nach der Novemberrevolution 1918 abdankte und seine Tage im niederländischen Exil beschloss. Seit seine Erben mit der Bundesrepublik Deutschland (vergeblich) um die Rückgabe enteigneten Besitzes streiten, wird weit über die Geschichtswissenschaft hinaus die Frage diskutiert, ob und in welcher Form der Kaiser und die Mitglieder seines Hauses am Aufstieg und der Durchsetzung des Nationalsozialismus beteiligt waren. Aufschluss darüber verspricht das fünfbändige Tagebuch seines Leibarztes Dr. Alfred Haehner, der den letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. und seine Frau Auguste Viktoria in den Jahren 1919 bis 1923 in ihr niederländisches Exil in Doorn bei Utrecht begleitete. Der Kölner Arzt war in erster Linie für die medizinische Betreuung der schwer kranken, bereits 1921 verstorbenen Kaiserin zuständig; in seiner Verantwortung lag aber auch das physische und psychische Wohl des Ex-Monarchen, dessen Äußerungen Haehner - wie einst Goethes getreuer Eckermann - sorgfältig notierte. Im Rahmen eines dreijährigen Projekts wurde nun die Herausgabe und kritische Kommentierung der bislang nur Spezialisten bekannten Tagebuch-Serie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligt.  Angesiedelt an der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hat die Bearbeiterin apl. Prof. Sabine Mangold-Will unter der Leitung der Neuzeit-Historikerin Prof. Dr. Ute Planert in einem DFG-geförderten Projekt eine Hybrid-Edition erarbeitet, welche die bewährte Form einer klassischen Buchausgabe mit den Vorteilen einer digitalen, maschinenlesbaren Textfassung verbindet, die online für Interessierte aus der ganzen Welt zugänglich ist. Von der Aufarbeitung der im Kölner Stadtarchiv lagernden Originale sind Beobachtungen über die Lebensverhältnisse des letzten deutschen Kaiserpaares und seiner Entourage ebenso zu erwarten wie Einsichten in die politischen Kontakte und transnationalen Restaurationsnetzwerke des exilierten Monarchen und seiner Familienmitglieder. In diesem Zusammenhang verdient auch die Inszenierung der schwer kranken Kaiserin als Identifikationsfigur des öffentlichen Monarchiediskurses in der Weimarer Republik besondere Aufmerksamkeit. Das Projekt ist Teil einer internationalen Forschungslandschaft, in der die Rolle der Monarchie im 19. und 20. Jahrhundert verstärkt in den Vordergrund rückt.  Workshops mit Studierenden und die Anbindung an die Forschungsstelle Geschichte Kölns haben das Editionsvorhaben mit der Universität zu Köln und dem Kölner Stadtarchiv vernetzt. Erste Ergebnisse wurden bei einer internationalen Tagung zur Geschichte der Monarchie in München 2023 vorgestellt, der Tagungsband erscheint Ende 2024. Inzwischen sind auch die Arbeiten am Editionsprojekt weitgehend abgeschlossen. Im Lauf des Jahres 2024 werden die Haehner-Tagebücher sowohl online zugänglich sein als auch in klassischer Buchform veröffentlicht.